Die Wattwürmer sind hier an der Nordsee zu einem Kult-Tier geworden. Vieles heisst hier Wattwurm, sei es die Kinderkrippe, das Ferienhaus, die Beiz, usw. Dabei ist das Tierchen gar keine Schönheit und zu Gesicht bekommt man es auch nur selten, ausser man gräbt es aus.
Leben tut der Wattwurm im Tidebereich des Wattenmeeres und nur hier an der Nordsee. Aber was die Würmer leisten ist ganz beachtlich (siehe Beitrag weiter unten).
Unsere Wattwürmer stammen aber von «Gosch», ihr wisst schon, die Kult-Fischbeiz!

«Wattwürmer graben jedes Jahr einmal das komplette Nordsee-Watt um. Damit schaffen die Sandfresser die Lebensgrundlage für andere Meeresbewohner.
Selbst mit viel gutem Willen kann der Wattwurm nicht als besonders ansehnlicher Zeitgenosse bezeichnet werden. Das vordere Ende des etwa 30 bis 40 Zentimeter langen Tieres ist fingerdick, es verjüngt sich zum Schwanz hin. Um Sand aufnehmen zu können, hat der braun bis schwarz gefärbte Wattwurm am Kopfende einen ausstülpbaren Rüssel. An der Mitte seines Körpers sitzen paarweise grellrote Kiemenbüschel. Ob er wohl weiß, dass er optisch kein Genuss ist? Man könnte es glauben, denn an der Bodenoberfläche lässt sich Arenicola marina fast nie Blicken.
Sein Zuhause ist ein U. Genau genommen eine U-förmige Röhre im sandigen Wattboden. Er lebt dort in etwa 20 Zentimeter Tiefe und liegt meist waagerecht in seiner Wohnröhre. Die Innenwände hat er mit ein bisschen Schleim verklebt, damit sie nicht permanent zusammenstürzen.
Mit winzigen wellenartigen Bewegungen sorgt der Vielborster dafür , dass stetig Wasser durch die Röhre fließt – von hinten nach vorne. Dabei filtert der Sand Nährstoffe – also Bakterien, Pflanzenreste oder Algen – aus dem Wasser und der Wurm bekommt frischen Sauerstoff, den er mit den Kiemenbüscheln aufnimmt. Seinen Kopf hat er vorne am senkrechten Gang positioniert, wo er mit dem Rüssel den Sand aufnimmt, der nach unten rieselt. Während der Wattwurm mümmelt, bildet sich oben, am Ausgang der Röhre, ein für alle Wattwanderer sichtbares kleines Loch: der Fresstrichter.
Der Wattwurmdarm füllt sich nun langsam mit Sand und ist nach etwa 30 bis 45 Minuten voll. Und nun? Wohin damit? Der Ringelwurm hat – natürlich – vorgesorgt und legt den Rückwärtsgang ein. Mit dem Schwanz voran kriecht er das Ausscheiderohr seiner U-Behausung hoch und drückt, kurz unter der Oberfläche angekommen, den Sand nach oben. Dabei entstehen die für das Watt so typischen kleinen Spaghetti-Häufchen: Wattwurmkacke.
Ganze 25 Kilogramm pro Jahr produziert ein einzelner Wattwurm. Im Watt der Nordsee leben durchschnittlich 40 Exemplare pro Quadratmeter – das hat einen gigantischen Effekt: Der gesamte Sand des Nordseewatts bis 20 Zentimeter Tiefe wird von Arenicola marina binnen eines Jahres komplett gefressen und wieder ausgeschieden. Eine Wohltat fürs Watt. Denn durch die Umwälzung des Bodens befördert der Wurm Nährstoffe an die Oberfläche, baut abgestorbenes Pflanzenmaterial ab und reichert den Boden mit Sauerstoff an, wovon andere Wattbewohner profitieren.
Im Einsatz für die Qualität des Wattenmeers setzt Arenicola marina sogar sein Leben aufs Spiel: Jedes Mal, wenn der Ringelwurm in seinem Gang nach oben krabbelt, um eine Sandschnur abzudrücken, begibt er sich in Gefahr . Vögel wie Austernfischer, Alpenstrandläufer oder Knutt haben nämlich längst spitzgekriegt, was für ein fetter Beute-Brocken sich unter den Spaghetti-Haufen verbirgt.
Mit ihren langen, spitzen Schnäbeln stechen sie in die Röhre, sobald sie sehen, dass sich ein neuer Sandhaufen bildet. Kriegen sie den Wurm zu fassen, kann der sich nur noch retten, indem er ein Stückchen seines dünnen Hinterendes abstößt. Das tut er, sobald er einen Schnabel spürt. Für den Vogel fallen dann lediglich ein, zwei Zentimeter Wurm ab.
Auch bei der Fortpflanzung ist der Wattwurm lieber vorsichtig. Zum Vollmond im Oktober verstreut das Männchen sein Sperma im Wasser. Erreicht das Sperma die Wohnröhre eines Weibchens, gibt dieses seine Eier ab, die im Wasser befruchtet werden.
Die Wattwurmeier behält das Weibchen so lange bei sich in der Röhrenbehausung, bis die Larven geschlüpft sind. Sie verbringen den Winter im Feinsubstrat des Watts. Erst ein Jahr später beginnen sie mit der Lebensplanung: Sie graben sich ihr erstes U».
Obiger Artikel © Claudia Füßler, «ZEIT ONLINE»

Alles klar?
Tschüss bis morgen!